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Phil Bauhaus „Einer der Top-10-Sprinter – auf diesem Planeten “

Feb 27, 2023 | BikePeople

Phil Bauhaus – Backstage mit einem Sprinter aus der Weltelite

Wann schlägt die Stunde des Sprinters? Und was hat das mit Usian Bolt zu tun?

Montag, 14. November 2022 I 12:56 Uhr I Meetingraum MÜ12 Verlag 

Nachdem Marcel Sieberg sich von seinem ehemaligen Team-Gefährten verabschiedet hat, drücke ich den Aufnahmeknopf, um das Gespräch mit dem zwölf Jahre jüngeren Phil Bauhaus einzufangen (zwölf Jahre jünger als Marcel – wohlgemerkt. 🙂 Auch ein Must-Speak-Kandidat, laut den szene-kundigen Gefährten Bruno Wansing und Wolfram Kolks.

Gestern Abend haben wir uns mehrmals das folgende Video vom März 2022 angesehen, um uns auf unseren jetzigen Gesprächspartner einzustimmen: 

HIGHLIGHTS TIRRENO – ADRIATICO: PHIL BAUHAUS TRIUMPHIERT IM SPRINT AUF DER SCHLUSSETAPPE IN ITALIEN

Must-see-Video, um zu verstehen, was dieser Mensch draufhat

Phil Bauhaus, 28 Jahre, Radprofi, Sprinter … und dein genaues Baujahr ist …
1994.

Willst du uns das genaue Datum verraten?
Warum nicht … 08. Juli 1994

Wo liegen deine Wurzeln?
Ich bin in Bocholt geboren und bis zum meinem 20. Lebensjahr in Lowick aufgewachsen bei meinen Eltern. Zu dem Zeitpunkt war ich schon Radprofi. Ich habe mein eigenes Geld verdient und konnte davon leben. Dann bin ich dem Wunsch gefolgt, den ich wahrscheinlich mit vielen Gleichaltrigen teile, sprich: sich abzunabeln und mir eine eigene Wohnung zu nehmen. Aus Sicht eines Radprofis hätte sicherlich ein Land wie Spanien oder Italien Sinn gemacht. Aber ich wollte noch nicht zu weit weg von meinen Eltern und meinen Freunden.

 

Da lag der Olympiastützpunkt in Köln nahe mit den Flughäfen Köln, Düsseldorf und Frankfurt in Reichweite. Als Trainingsgebiet lag die Eifel quasi vor der Haustür, dazu das Bergische Land. Umgeben von vielen Menschen, die ambitioniert radfahren, und das Leben in einer Großstadt – das machte für mich den Reiz aus, nach Köln zu ziehen.

Jetzt der Schwenk zurück in die Heimat?
Meine Verlobte hat in Köln Medizin studiert und war somit während ihres Studiums dort gebunden. Für mich und mein Sportlerleben ist der Wohnort nicht kriegsentscheidend, da ich sowieso sehr viel unterwegs bin.

Nach dem Studium fiel dann die Entscheidung, in unsere Heimat zurückzukehren. Josefine hat mittlerweile eine Stelle im Bocholter St. Agnes-Hospital angetreten. Jetzt können wir weitere Pläne schmieden. 2023 steht erst einmal unsere Hochzeit an. Da ich in meinem Job die Hälfte des Jahres unterwegs bin, ist es für Josefine schon ein gutes Gefühl, ihre und meine Eltern in der Nähe zu wissen.

Wenn wir bei dir Bike-Inventur machen würden, wie viele Bikes würden wir zählen und welche?
Ich habe vor kurzem ausgemistet. Momentan findet ihr dort ein Zeitfahrrad, ein Crossfahrrad, ein Rennrad, ein Bahnrad und ein Herrenrad. Letzteres, um gemütlich durch Bocholt zu fahren.

Kommt so etwas vor?
Eher selten. Weil ich ja täglich, auch am Wochenende, ca. vier Stunden auf dem Rad sitze, um zu trainieren.

Wie dürfen wir uns dein Training vorstellen?
Ich bin nicht ortsgebunden. Die einzige Vorgabe meines Rennstalls ist, dass ich in Europa wohne, wegen der Zeitzone. Länder wie Norwegen oder Schweden wären im Winter eher schwierig. Von daher ist der Bereich um Bocholt herum schon ideal für mich.

Heute Morgen bin ich mit Marcel in Richtung Wesel gestartet. Wir sind am Rhein entlang in Richtung Emmerich und von dort aus wieder nach Hause. Marcel ist ca. drei Stunden gefahren. Ich habe noch eine Stunde drangehangen, um auf meine vier Stunden zu kommen. Die fahre ich mit einem 32er Schnitt. Wenn ich Intervalltraining habe, auch schon mal schneller. Wir sind viel in Holland unterwegs, gerne auch in Richtung Haltern. Dort bei „Granat“ gibt es eine „kleine Welle“, wo ich ein paar Bergintervalle trainieren kann. Es gibt hier im Umfeld auf jeden Fall genug Abwechslung, so dass es nicht langweilig wird.

Apropos Langeweile. Jetzt hast du ja nicht immer einen Marcel an deiner Seite. Legst du dir auch schon mal Musik auf die Ohren?
Das kommt gelegentlich vor, insbesondere wenn sechs Stunden auf dem Trainingsplan stehen. Allerdings nicht im Noise-Cancelling-Modus. Wichtig ist, als Teilnehmer am Straßenverkehr sein Umfeld auch wahrzunehmen, sonst wird es gefährlich.

Wie sieht dein Trainingsplan aus? Stehen da jeden Tag vier oder sechs Stunden Strecke drauf?
Derzeit gibt es bei uns im Team Bahrain, für das ich fahre, 28 Fahrer. Daneben gibt es ca. 70 Menschen in Funktionen wie Trainer, Physiotherapeuten, Mechaniker, sportliche Leiter (was Sebi jetzt macht), Osteopathen, Ärzte usw. 

Wir haben fünf Trainer im Team. Jeder von denen hat ca. fünf Fahrer, die er trainiert, deren Trainingspläne er gestaltet. Ich logge mich in unser Teamportal ein und sehe, welcher Plan für mich hinterlegt ist. Wie lange ich in welchen Bereichen fahren muss, mit welchen Intervallen.

Über ein Leistungsmess-System an meinem Rad werden die Daten automatisch hochgeladen. Mein Trainer kann dann bewerten, wie ich an dem jeweiligen Trainingstag drauf war. Es gibt gute und weniger gute Tage, aber am Ende muss ich Profiergebnisse abliefern.

Wie lange warst du zwischendurch aus Bocholt weg?
Knapp sieben Jahre.

Wie stellt sich unsere Stadt aus Sicht eines Rückkehrers dar?
Viel besser als Köln auf jeden Fall. Ich schätze, dass ich hier ca. 90% auf Radwegen unterwegs sein könnte. Diese sind in der Großstadt auf jeden Fall viel schlechter ausgebaut, auch rund um Köln. Das ist hier deutlich anders und vor allen Dingen sicherer.

Phil, wir haben einiges zu dir recherchiert. Es gab eine Schlagzeile „Phil Bauhaus verlängert seinen Vertrag um weitere zwei Jahre. Er ist mittlerweile in der Welt-Elite angekommen.“ Da könnte auch für Menschen, die dich noch nicht kennen, so etwas wie „Fremdstolz“ aufkommen. Kannst du kurz skizzieren, wie dein Weg dorthin war?
Mein Papa ist hobbymäßig Rennrad gefahren, aber überhaupt nicht leistungsorientiert. Er ist damals über seinen Bruder an diesen Sport gekommen. Zu einer Zeit, als Radfahren noch einen größeren Stellenwert in Deutschland hatte. Er war Fan von den großen deutschen Profis, die es damals gab, unter anderem von Jan Ulrich. Mir ist als kleiner Junge aufgefallen, dass mein Vater viel mit dem Rad gefahren ist. Einem anderen Rad als die meisten fuhren und sich dabei auch andere Klamotten angezogen hat. Ich fand das cool und habe ihn irgendwann gefragt, ob ich mitfahren kann.

Mein Papa hat mir dann relativ schnell über den RC 77 mein erstes Rennrad besorgt. Das war ein ganz altes Stahlrad, mit Rahmenschaltung. Es war eigentlich viel zu groß für mich. So sind wir dann am Wochenende mal nach Rhede und in die Umgebung gefahren. Mal für eine halbe Stunde oder eine Stunde. Irgendwann wurde ich Mitglied im RC 77 Bocholt. Das war der Hype um Jan Ulrich, Erik Zabel und Co., der dazu führte, dass sich viele Kinder und Jugendliche dort anmeldeten.

Ich wurde dort super aufgenommen und gefördert. Ich habe zu der Zeit parallel auch noch beim DJK Lowick Fußball gespielt. Irgendwann stand dann eine Entscheidung an. Beide Sportarten gleichzeitig zu betreiben, wurde zu viel.

Was gab den Ausschlag zu Gunsten des Radsports?
Das kann ich dir nicht mal sagen. Wahrscheinlich waren es die ersten Erfolge und Siege im Radsport. Ich habe mit neun Jahren mein erstes Radrennen gefahren. Mit elf Jahren folgten die ersten Lizenzrennen.

Deine ganzen Erfolge aufzulisten, wäre angemessen, aber auch sehr viel. Wer die genauer unter die Lupe nehmen will, sprich:  Platzierungen, Teams etc.,
ist auf dem folgenden Portal gut aufgehoben: https://www.radsport-news.com

Wir würden gerne mit dir über das eingangs erwähnte TIRRENO-ADRIATICO-Rennen sprechen. Ihr seid dort 155 Kilometer unterwegs gewesen und dann kam dieser gigantische Schluss-Sprint vor dir. Welche Strategie steckt dahinter? Was zeichnet dich als Typen auf dem Rad aus? Wie bist du dorthin gekommen? 

Man merkt relativ schnell, was man gut und was man weniger gut kann. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass ich nicht gut den Berg hochfahren kann. Solche Rennen fielen mir immer schwer, sie machten mich nicht glücklich. Wenn ich als junger Radfahrer gute Platzierungen eingefahren habe, war es fast immer im Sprint. So etwas kristallisiert sich raus, je älter man wird. 

Ein großer Schritt ist der Wechsel von den Junioren in die U23, in den Männerbereich. Als ich damals zum Team Stölting kam, hat unser Teamchef mich zum Sprinter bestimmt. Danach war meine Rolle im Team klar, und ich habe gezielt darauf trainiert. 

Ich war in dieser Funktion sehr erfolgreich, und so wurde ich von den jeweiligen Teams, die mich danach verpflichtet haben, genau für diese Funktion des Sprinters ausgesucht. 

Wann schlägt die Stunde des Sprinters in einem Radrennen?
Das hängt natürlich vom jeweiligen Streckverlauf ab. Sehr kompliziert gestalten sich die letzten Kilometer. Es gibt Rennen in den Emiraten, da verläuft die Strecke wie eine fünfspurige Autobahn, da fährst du nur geradeaus. Das ist für mich weniger stressig, ohne Hindernisse und Kurven. Daneben gibt es Rennen in Belgien oder Frankreich mit vielen Kreisverkehren. Das macht es für das Fahrerfeld, speziell für mich als Sprinter, deutlich komplizierter.Um deine Frage zu beantworten, es sind in der Regel die letzten ein bis zwei Kilometer, wo ich extrem fokussiert unterwegs bin. Auf dem letzten Kilometer geht es dann um maximales Tempo und maximalen Positionskampf. Da entscheidet der kleinste Fehler über Sieg oder Niederlage. Da muss man alles perfekt machen. 

Das ist die Phase, wo der komplette Sprintzug zum Einsatz kommt? 
Ja, genau. Als Sprinter bist du während des gesamten Rennens „geschützter Fahrer“.  Ich versuche die ganze Zeit über, so viel Energie zu sparen wie möglich. In der letzten Stunde vor dem Ziel zieht das Tempo des Fahrerfeldes deutlich an.

Wie „Sibi“ dir erzählt haben wird, beginnt der eigentlich „Lead-out“ ca. 1.000 Meter vor dem Ziel. Da schlägt die Teamleistung voll durch. Ab da fährt jeder aus dem Sprintzug seine Rolle bis ans Limit, um dann einer nach dem anderen auszusteigen. Im Optimalfall werde ich so bis zu den letzten 200 Metern geführt. Dann liegt es an mir, alles zu geben, um als Erster über den Zielstrich zu fahren.

Um in dem Beispiel von Tirrono zu bleiben. Da war meine Position augenscheinlich zunächst gar nicht so gut. Aber dann tut sich plötzlich eine Chance, eine Lücke auf, über die ich auch gar nicht nachdenken kann. Das ist dann purer Instinkt – eher Automatismus als bewusste Entscheidung. 

Für die letzten 200 Meter benötigst du wie viel Sekunden ungefähr?
Zwischen 12 und 17 Sekunden, je nach Steigung, Wind etc. Mittlerweile hängt viel mit der Aerodynamik zusammen. Das Material wird immer besser, die Rennen immer schneller. Es ist viel Taktik im Spiel. Aber beim Sprint auf den letzten 200 Metern reduziert sich alles auf die pure Kraft, die den Ausschlag gibt. 

Über welche Geschwindigkeit reden wir beim Sprinteinlauf?
Wenn es ein „flacher Sprint“ ist, sind es 60 km/h Minimum, teilweise bis zu 70 km/h. 

Wir wissen, dass Sibi bis zu seinem Karriereende dein „Anfahrer“ war, wie man so sagt. Wer ist das aktuell bei dir?
Derzeit ist das Heinrich Hausler. Jetzt kommt noch Niklas Arndt ins Team. Mit den beiden werde ich vorrangig unterwegs sein. Insgesamt verfügt unser Team über sechs Fahrer, die die Funktion des „Anfahrers“ hervorragend besetzen können. 

Ist das richtig, dass du noch keine Tour de France gefahren bist?
Das ist richtig. Mein derzeitiges Team Bahrain hat die Ambitionen, irgendwann mal die Tour de France zu gewinnen oder zumindest auf dem Podium zu beenden. Deshalb liegt deren Augenmerk für dieses Rennen mehr auf die Bergfahrer als auf die Sprinter, was in der Natur der Strecke liegt. Da setzt sich das Team der Acht in erster Linie aus Bergfahrern zusammen. Daher ist es für mich als Sprinter schwierig, auf diesem Radrennen eingesetzt zu werden, aber nicht ausgeschlossen. 

Für die Freunde von Rankings. Gibt es so etwas wie eine Weltrangliste unter der Radsportlern? 
Die gibt es. Aktuell müsste ich dort exakt auf Platz 100 stehen von 2.222 gelisteten Fahrern. 

Und unter den Sprintern? Wie schaut da der weltweite Benchmark aus? 
Da gibt es keine extra ausgeworfene Klassifizierung. Trotzdem lässt sich das für Insider nachvollziehen. Je nach Rechenart lande ich zwischen dem 7. und 13. Platz. Rechnerisch somit auf dem 10. Platz.

Wie kann es sein, dass es in Deutschland sehr viele gute Sprinter gegeben hat bzw. gibt?
Ich habe dafür keine Erklärung. Ich glaube, das Talent für den Sprint ist angeboren. Ich könnte noch so viel trainieren, ich würde nie gut am Berg sein. Ob es meine Muskeln sind oder meine Sauerstoffübertragung im Blut ist, die es nicht hergeben, ein guter Bergfahrer zu sein?  Vielleicht ist es Talent, in der Kombination mit der Beschaffenheit der Muskeln? Es dürfte relativ unwahrscheinlich sein, dass Usain Bolt jemals einen Marathon gewinnt. Was der kann, ist 100 und 200 Meter zu laufen! – So schnell wie kein anderer!

Was fährst du aktuell im Rennen für ein Bike?
Ein Merida Reacto. Ein Aero-Bike, was für mich als Sprinter sehr entscheidend ist, also wenig Windwiderstand.

Wir haben ein Video auf YouTube dazu gefunden: YouTube – Merida Reacto

Wenn es Leser geben würde, die sich dafür interessieren: Zu welchem Händler müssten wir sie auf den Weg schicken?
Wüsste ich jetzt gar nicht. Glücklicherweise bekomme ich meine Räder von Team gestellt.

Für diejenigen unter euch, die kein solches Rad von ihren Teams gestellt bekommen, hier könntet ihr fündig werden: Merida-Bikes – Händlersuche

Weißt du denn, wie viele Euros dafür fällig wären?
Ich glaube: zwischen 11.000 und 13.000 Euro.

Das ist ein üppiger Preis für eine Fietse, wie ich finde. Aber, wenn man sich damit unter die Weltelite der Sprinter fahren kann, könnte es für die eine oder den anderen unter euch Leserinnen und Leser möglicherweise angemessen sein wenn Talent, Beschaffenheit der Muskeln und Trainingsfleiß stimmen, wie wir jetzt wissen.

Danke, Phil, für deine Zeit und die Einblicke in einen Sport, den wir fortan mit anderen Augen sehen.
Da nicht für.

Was umgangssprachlich, norddeutsch soviel bedeutet wie: „„Danke! Dafür musst du dich doch nicht (extra) bedanken, das ist/war doch selbstverständlich“ falls jemand aus der Zielgruppe 60 Plus irritiert sein sollte.