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Marcel Sieberg „Der neunmalige Teilnehmer der Tour de France“

Feb 27, 2023 | BikePeople

Marcel Sieberg: Racer – husband – father – gravel-rider 

Ein Blick hinter die Kulissen der Tour de France – Schachspiel auf zwei Rädern – mit einem der Besten

Montag, 14. November 2022 I 11:59 Uhr I Meetingraum MÜ12 Verlag 

Könnte ein spannender Tag werden heute. Mit Phil Bauhaus treffen wir einen der besten Sprinter auf diesem Planeten und mit Marcel Sieberg, genannt „Sibi“, zuvor jemanden, der als „Wasserträger“ im Team diese Sprints vorbereitet, organisiert und „anfährt“, wie es die Insider sagen. 

Dass die beiden genau in dieser Reihenfolge bei uns auflaufen, ist eher dem Zufall geschuldet als einem gewollten Setting. Beide waren uns von unserem RADius-Gefährten Bruno Wansing empfohlen worden verstärkt durch das Votum von Boris Fastring. Wie klein doch die Szene der Radfahrer wird, wenn wir über absolute Ausnahmeathleten sprechen! 

Ich bin gespannt auf die beiden Charaktere, die wir heute kennenlernen werden. Zu Marcel gibt’s ein sehr sympathisches Video auf YouTube, was wir gerne mit euch teilen.

Racer – husband – father – gravel-rider

Lieber Marcel, je mehr wir in diese eure Szene eintauchen, desto spannender wird es für uns. Kirsten und ich haben uns gestern noch ein paar YouTube-Sequenzen angeschaut. Szenen, in denen du, in denen Phil in Action seid. Wir haben euch bislang nur aus der Distanz, sprich: aus dem Augenwinkel verfolgt, wenn ihr mal in der Tageszeitung aufgetaucht seid. Das waren aber immer nur kurze Streiflichter. Im RADius kommt es uns darauf an, eure Geschichte in Gänze zu erfassen und mit unseren Leserinnen und Lesern zu teilen. Ihr seid ein nicht unbedeutender Teil der Biker-Story, die diese Region ausmacht. Gehen wir ins Thema?

Schieß los!

Dein Baujahr?
Ich bin am 30.04.1982 geboren.

Okay, die 40 in diesem Jahr gerundet. Du bist in Castrop-Rauxel geboren. Wie hat es dich nach Bocholt verschlagen?
Ich bin durch meine Frau Andrea hier gelandet. Wir haben uns in Dortmund kennengelernt. Andrea ist früher auch Rennen gefahren. Sie war in der Junioren-
Nationalmannschaft der Frauen. Im Trainingslager auf Mallorca separierte man damals noch streng zwischen Männlein und Weiblein. Die Frauen kamen dann zu uns ins Hotel, für schulische Sachen rund um den Radsport. Hierbei haben wir uns flüchtig gesehen. Jahre später habe ich Andrea in Dortmund in einem Fitnessstudio wiedergesehen. Sie hat in Dortmund studiert und ich habe dort gewohnt.

Die flüchtigen Begegnungen scheinen Wirkung erzeugt zu haben.
Stimmt. Wir fanden, dass das alles kein Zufall sein konnte und so sind wir zusammengekommen. Nach Andreas Studium sind wir nach Köln gezogen. Genauer gesagt nach Hürth. Dort, wo damals auch André Greipel gewohnt hat und später Phil Bauhaus. Nach Andreas Referendariat haben wir uns die Frage gestellt, wo wir denn wohnen wollen. Ich war mit dem Radsport schon sehr viel unterwegs. Trotzdem wollten wir eine Familie gründen, einen Lebensmittelpunkt haben, wo auch die Ursprungsfamilie in der Nähe ist. Und so haben wir uns für Bocholt entschieden, die Heimat meiner Frau.

Ihr habt zwei Kinder, wenn YouTube nicht lügt.
Ist das auf YouTube? 

Sehr schön sogar, wie ich finde.
Das stimmt auf jeden Fall, wir haben zwei Mädchen. Jette (8) und Anni (6). Beide fahren gerne Rad, aber noch nicht im sportiven Bereich. 

Ist Bocholt ein gutes Terrain zum Trainieren?
Eigentlich schon. Es gibt zwar keine Berge, aber die Topographie kann man sich übers Trainingslager auf Mallorca, in Italien oder beim Rennen holen. 

Ich fühle mich wohl hier – perfekt zum Radfahren, zum Trainieren. Phil ist jetzt auch wieder seit ein paar Monaten in seine Heimat Bocholt zurückgekehrt. So wie es passt, fahren wir auch gemeinsam. 

In der letzten Woche kam sein spontaner Ausspruch: „Ist ja schon geil hier.“ Dem kann ich nur zustimmen. Wenn du vier bis fünf Jahre in Köln gelebt hast, dann erlebst du die Gegend hier ein wenig anders. Möglicherweise bewusster, intensiver. Du nimmst wahr, wie gut die Infrastruktur für Radfahrer ist, wie gut die Radwege sind. Das macht einen gewaltigen Unterschied zur Großstadt. Nicht nur von der Landschaft, sondern auch von der Qualität der Radwege. 

Du hast deine aktive Laufbahn beendet, worauf wir noch zu sprechen kommen. Wie erklärst du den Menschen deine derzeitige Berufsbezeichnung?
Ich bin sportlicher Leiter bei einem Profiteam. 

Welches Team?
Derzeit DSM. Mein letztes offizielles Rennen war in Paris-Roubaix am 3. Oktober 2021.

Danach bin ich nahtlos in eine komplett andere Welt eingetaucht. Zwar auch im Radsport, aber in einer Führungsfunktion jenseits des Sattels. Dazu zählen auch Tätigkeiten am Computer. 

Zu meiner Zeit als Radsportler habe ich den nur genutzt, um ins Internet zu kommen. Jetzt muss ich damit arbeiten. Ich hatte bis dato keine Ahnung von Dropbox, Excel, Word, Powerpoint etc. Ich habe viel gelernt in diesem Jahr. 

Ich habe eine Podcast-Episode dazu gefunden: „Marcel Sieberg vom Rad ins DSM-Auto“ mit der Beschreibung:
Marcel Sieberg wechselt nach seiner langen Profikarriere in die Rolle des sportlichen Leiters beim Team DSM. Im Podcast spricht „Sibi“ über seine neue Aufgabe, seine Karriere als stets loyaler Helfer, seine „Ehe“ mit André Greipel (samt Krise!), verpasste Chancen, Gewöhnung an Erfolg und sein Lieblingsrennen Roubaix, das ihn nicht loslässt. 

Was für die Ohren … Hier geht’s zum Podcast.

Ich habe bei dir rausgehört, dass eine weitere Veränderung ansteht.
Richtig, ab dem 01. Januar 2023 bin ich Tour-Manager beim Schweizer Team Tudor.

Meine Aufgabe ist es, die Fragen ziemlich schlicht zu stellen, damit wir jeden der Leserinnen und Leser mitnehmen. Das fällt mir leicht, weil ich ganz wenig Ahnung vom Radsport habe. Was macht ein Tour-Manager?
Er ist der Chef eines Teams beim Radrennen und ist verantwortlich für dessen Planung.  Er hält den Laden zusammen, ist also Bindeglied zwischen Versorger, Pfleger, Mechaniker und den Fahrern.

Der Mensch, den man im Auto eingeblendet sieht, der hinter dem Tross herfährt und Entscheidungen trifft? 
Genau. Ich halte permanent die Kommunikation zu den Fahrern. Das ist vergleichbar mit einem Trainer beim Fußball. Wobei der sich wahrscheinlich nicht um die Logistik drum herum kümmern muss. 

Wir groß ist so ein Team im Schnitt? 
Wir haben ein Frauenteam, ein Nachwuchsteam und ein Profiteam. Das sind insgesamt 55-60 Sportlerinnen und Sportler. Dazu kommen noch mal ca. 100 Betreuer. 

Das alles gehört koordiniert. Wenn das Profiteam bei der Tour de France an den Start geht, sind die beiden anderen Teams zeitgleich an anderen Orten, bei anderen Rennen unterwegs. 

Bleiben wir bei der Tour de France. Wie viel Fahrer gehören da zu einem Team? 
Früher waren es neun, heute sind es acht Fahrer. Dazu kommen zwischen 15-30 Betreuer, je nach Budget und dem, was die Teams wollen. 

Wie bei jedem unserer Gesprächspartner jetzt auch bei dir die Bike-Inventur. Wie viel Räder finden wir bei dir? 
Mein Olympia-Rad hängt bei mir im Büro, im Haus. Im Keller steht ein Home-Trainer ein komplettes System, ähnlich einem Spinning-Rad. Dann gibt es noch einen Fahrradraum. 

Bedeutet in der Summe? 
Vielleicht zehn Bikes? 

Nicht un-wenig. Wenn du dich für ein Bike entscheiden müsstest, welches wäre das?
Das ist eine schwere Frage, weil ich zu meinem Abschied ein tolles Bike bekommen habe, mit meinem Konterfei, ein paar Details wie z. B. gefahrene Rennkilometer. Das ist ein wirklich schönes Rad …

 … ist die Schönheit entscheidend?
Wenn du mich zwingen würdest …. 

 … was ich hiermit tue.
Dann würde ich mich auf mein neues Gravel-Bike festlegen wollen. 

Mit welcher Begründung? 
Mit dem Gravel-Bike ist man flexibler. Man kann damit überall fahren. Ob an der Aa entlang, nach Dinxperlo, über Asphalt oder Schotter. Da bist du mit dem Rennrad ein wenig limitierter unterwegs. 

Fehlt noch die Marke. 
Es ist von Ridley. Eine belgische Firma, die uns jahrelang unterstützt hat, als ich für das Team „Lotto“ an den Start gegangen bin. 

Gibt es gemeinsame Ausfahrten mit dir und deiner Frau, da ihr ja beide dem Radsport verbunden seid? 
Klar. Zum Beispiel zu den Schwiegereltern nach Barlo, in die Stadt zum Einkaufen oder mit den Kindern zur Schule.

Mit welcher Fietse bist du dann unterwegs? 
Mit einem City-Rad, was ich mal bei der Sportlerwahl in meinem Geburtsort Castrop gewonnen habe. Aber nicht als Prämie oder Auszeichnung, sondern weil ich ein paar Lose in der Tombola gekauft hatte.

Was nimmt ein Mensch wie du auf seinen Radausfahrten mit, wenn er sich quasi zur Ruhe gesetzt hat?
Immer ein bisschen Kleingeld, einen Riegel und eine Banane. Damit kommst du schon ziemlich weit. 

Du schon. Ich nicht. Obwohl, mit dem Kleingeld könnte ich zumindest ein Pizza-Taxi anrufen und fragen, ob ich die Zeche später anschreiben lassen kann. 🙂 Diese Fraktion der „Riegel-Fetischisten“ ist mir einfach nicht geheuer. 

 

Nicht das Ihr glaubt, Marcel hätte einen seiner Pokale in unseren Meeting-Raum geschleppt. Das ist unser Samowar – falls mal jemand einen Tee möchte

Deine Touren nach deiner Pensionierung“?
Ich bin eher selten noch vier bis fünf Stunden auf dem Rad unterwegs. Meine Zeit ist ziemlich limitiert. Ich versuche, zumindest zwei bis drei Stunden auf dem Rad einzurichten. Ich bin heute mit Phil drei Stunden gefahren. Wenn wir zu mehreren sind und das Wetter gut ist, kann es schon mal ein wenig länger werden. 

Wie viel Kilometer habt ihr heute Morgen abgerissen, während der drei Stunden?
Circa 95 Kilometer. 

Wenn du jetzt mal vollkommen entschleunigt unterwegs bist, mit deiner Frau und den Kids, wo geht es dann hin?
Gerne mal nach Winterswijk zum Pommes-Essen.

Da kommen leicht 20-30 Kilometer zusammen, hin und zurück. Machen die Kids das ohne Murren mit?
Die Pommes ziehen schon als Argument.

So ein Interview gewinnt an Farbigkeit, je konkreter es wird. Also, ihr seid nach Winterswijk zum Pommes-Essen. Wohin genau?
Ich bin ja nur Zugezogener. An der Kirche am Markt, wo die meisten Deutschen sitzen. 

Du bist wirklich ein Zugezogener. Wo in Winterswijk gibt es einen Platz, der nicht von unseren Landsleuten belagert wird? So wird das nix mit dem Fritten-Tipp.

Legt man sich als Radsportler eigentlich Musik auf die Ohren, wenn man länger auf dem Bike unterwegs ist?
Das kommt schon mal vor. Allerdings nur auf einer Seite, um den Straßenverkehr noch mitzubekommen. Aber wenn du am Rhein entlang nach Nijmegen oder Arnheim fährst, dann geht es schon mal längere Zeit geradeaus. Dann ist es nicht schlecht, wenn man einen Podcast auf dem Ohr hat. Oder beim Intervall-Training am Berg, um sich zu motivieren.

Hast die einen spannenden Podcast-Tipp für uns?
Ich höre öfter einen Finanz-Podcast, aber ich glaube, dass der nicht so spannend ist für alle.

Mein Gefühl mag mich täuschen, aber ich glaube, mein Gegenüber hat Recht. Energie-Riegel und Börsen-News. Irgendwie sind meine Synapsen
gerade ziemlich weit von einer La-Ola-Welle entfernt.
Machen wir weiter mit deinem Blick als Zugezogener auf die Stadt Bocholt.

Ich bin mit acht Jahren angefangen, mit meinem Vater und meiner Schwester Rennrad zu fahren. Wir sind von unserem Wohnort Castrop nach Waltrop gefahren – das war auch ländlich.

Als ich meine Ausbildung in Dortmund gemacht habe, habe ich im Dortmunder Süden gelebt. Von dort bin ich oft in Richtung Schwerte gefahren, auch sehr schön.

Aber hier in Bocholt, die Auswahl und Qualität von Radwegen, die kannte ich nicht.

Ich habe mit Phil reflektiert, dass wir ca. 95% unseres Trainings auf Radwegen absolvieren können! Das ist schon toll!
Für mich ist das nach so vielen Jahren, wo ich hier lebe, schon wieder Normalität geworden. Auch bei mir kommt es vor, dass ich manche Stellen als zu holprig empfinde. Dass ich mir denke, könnte man schlauer lösen. Aber, wenn wir ehrlich sind, sprechen wir da über Luxusprobleme.

Du hast vorhin angesprochen, ddein Papa mit dir und deiner Schwester mit dem Rad losgefahren ist. War er der Treiber für deine Passion?
Mein Vater ist damals viel mit meinem Onkel Rad gefahren. Die haben quasi Radtouren auf Zeit gefahren. Irgendwann sind wir zu einem Radrennen gefahren, wo mein zwölf Jahre älterer Cousin gestartet ist. Wir waren nur zum Zuschauen dort. Da hat es bei mir Klick gemacht.

Zwischenzeitlich hatte ich mal mit Judo angefangen. Aber als ich als Knirps ein paar Paletten Vita-Malz beim Radrennen geschenkt bekommen habe für meine Leistungen, war es um mich geschehen. Ich war angefixt.

Dem Vita-Malz folgte der erste Pokal. Das prägt dich als kleiner Junge. Da kannst du auch nach über 30 Jahren noch von erzählen. Das macht schon was mit dir. Das hat sich weiterentwickelt und irgendwann fand ich mich im Kreis der Nationalmannschaft wieder.

Ich habe mich mit deiner Vita und deinen Erfolgen beschäftigt. Was mir besonders imponiert hat war, dass dir bei der Tour de France mal eine „rote Rückennummer“ verliehen wurde als „kämpferischster Fahrer.“ Was hat es damit auf sich?
Das war 2007, meine erste Teilnahme bei der Tour de France. Es war auf der zweiten Etappe. Ich war ganz vorne mit drei anderen Fahrern. Ich war der letzte, den das Hauptfeld drei Kilometer vor dem Ziel eingeholt hat. Dort wurde dann bestimmt, dass ich an diesem Tag der aktivste Fahrer war. Derjenige, der am meisten riskiert hat. Ich durfte mit aufs Podium und am nächsten Tag diese besagte rote Rückennummer tragen. Das war schon ein irres Gefühl, damit bei meiner ersten Tour de France ausgezeichnet zu werden.

Gibt es irgend jemanden in der Region, der eine ähnlich große Tour-de-France-Erfahrung hat wie du? 
Ich glaube nicht. Ich bin neunmal die Tour gefahren. Rolf Aldag oder Erik Zabel, die sind diesen Klassiker zwölfmal gefahren. Aber die kamen ja nicht aus der Region.

Spätestens bei diesen Impressionen wird eutlich, welch großer Sportler dort vom Rad gestiegen ist – zumindest offiziell. Marcel Sieberg, der „Anfahrer“ u.a. für André Greipel (im weißen Trikot), und Phil Bauhaus – den wir euch gleich vorstellen werden. 
André gehörte zu den besten Straßensprintern seiner Generation.
Wie ihr Phil einsortiert bekommt, werdet ihr noch lesen.

Wann bist du die Tour zuletzt gefahren? 
Das war 2018. Aber da musste ich mich schon arg quälen. Da fährst du jeden Tag ums Überleben, sprich: um die Zeitvorgabe zu schaffen. 

Marcel hat geduldig mir versucht, mir zu erklären, woraus sich die Zeitvorgaben ergeben und wie diese genau berechnet werden. Ich fand des ziemlich kompliziert, aber ich fahre ja auch nur „auf ne Stulle nach Winterswijk“.

Am Ende des Tages bzw. der Erzählung stand fest, dass Marcels Body ihm aufgrund seines fortgeschrittenen Alters signalisiert hatte, dass es nunmehr gut gewesen sei, mit dieser Form der Schinderei. 

Ich hänge gedanklich noch bei deiner Aussage rum, wonach die jeweiligen Teams festlegen, was ihr Ziel bei dieser Tour de France ist. Ist es nicht einfach nur der schlichte Ansatz, diese Tour zu gewinnen? 
Nein. Es gibt zum Beispiel Teams, die reisen mit fünf Sprintern an, um möglichst viele Etappen zu gewinnen. Das kann effektiver sein, als einen Fahrer unter den ersten in der Gesamtwertung, um den Kampf um das „Gelbe Trikot“, zu platzieren. 

Von daher ist es für den jeweiligen Tour-Manager wichtig, sich den genauen Verlauf der jeweiligen Tour de France anzuschauen. Sind dort mehr Flach-Etappen, sprich:  Sprints oder mehr Bergetappen? Danach werden die Teams zusammengestellt, die dort anreisen. 

Welche Fahrertypen gibt es? 
Es gibt Bergfahrer, es gibt Sprinter, Helfer, z. B. für die Flach-Etappen beim Sprint, um die Ausreißer einzuholen. Das sind aber nicht die, die dir am Berg helfen können. Dafür gibt es auch wiederum Spezialisten. Es gibt auch Allrounder, die mehrere Rollen einnehmen können. 

Wir kommen gleich zu deiner Spezialität. Die Einteilung der Typen war erstmal wichtig, um ein Gesamtverständnis dafür zu entwickeln, wieviel Teamleistung tatsächlich dahinter steckt. Vielen dürfte der Name Erik Zabel noch ein Begriff sein, unter anderem den regelmäßigen Besuchern der Rheder City-Nacht. Mit Erik bist du zusammen im Team „Milram“ gefahren. Was ist das für ein Typ? Wie tickt der?
Ich bin von meinem damaligen Zweitliga-Team „Wiesenhof“ in die erste Liga ins Team „Milram“ gewechselt. Dort bin ich viele Etappen mit Alessandro Petacchi, einem italienischen Top-Sprinter, und mit Erik Zabel gefahren. Ich habe dort sehr viel gelernt. Ich bin dort in meine Helferrolle für diese Top-Sprinter reingewachsen. 

Erik war eher ein ruhiger Typ, den ich als kleinen Knirps schon bewundert habe. Eine schöne Erfahrung, mit ihm zu fahren und Siege teilen zu dürfen. Erik ist auch nach seinem Doping-Geständnis dem Radsport immer verbunden geblieben.  

Wie lange hast du in der ersten Liga, auf diesem Niveau gefahren? 
Insgesamt 15 Jahre. 

Mir ist bei der Vorbereitung auf unser Gespräch erst deutlich geworden, aus welch besonderem Holz Menschen wie du geschnitzt sein müssen. Sich so aufzureiben für einen anderen Fahrer, der dann aufs Treppchen steigt. Das sind echte Geber-Qualitäten, oder? 
Ja klar. Aber wie geschildert, bin ich dort reingewachsen. Als ich mit acht Jahren in der Nachwuchsklasse gestartet bin, habe ich quasi alles gewonnen. Zwei Jahre später sind wir nach Süddeutschland gefahren, um an einem Rennen teilzunehmen. Da hat mich der spätere Sieger des Rennens abgehangen. Das Gefühl kannte ich bis dahin nicht, da habe ich geweint. Diesen Ehrgeiz hatte ich immer in mir, damit bin ich Deutscher Meister bei den Junioren geworden. 

Nach meinem Wechsel in dieses Top-Team, mit diesen Top-Sprintern, war es für mich überhaupt kein Problem, mich dort unterzuordnen und dann anderen zum Sieg zu verhelfen. 

Du hast Jahre deines Lebens dafür geopfert, einem der besten Straßensprinter eurer Generation seinen Sprint vorzubereiten … 
Du meinst André Greipel. Er war mehr als ein Team-Kollege! Er zählt zu meinen besten Freunden.

… zugleich dein Trauzeuge, wie zu lesen ist. 
Ja. André war immer einen Tick schneller als ich. Es kann ja nur einer gewinnen. Also, warum sollte ich nicht für ihn fahren? Am Ende des Tages ist das mein Job, für den ich bezahlt werde. Das ist ähnlich wie beim Fußball. Derjenige, der in der Abwehr seinen Mann steht, wird selten so dafür gefeiert wie derjenige, der die Tore schießt. Beim Fußball ist es wahrscheinlich offensichtlicher und transparenter, dass die Erfolge immer die Leistung des gesamten Teams sind. Das wird möglicherweise beim Radsport nicht so deutlich oder auch übersehen. 

Bleiben wir kurz bei diesem Bild Fußball. Demnach verkörperst du einen sogenannten „Wasserträger“ auf einem extrem hohen Niveau. 
Das könnte man so beschreiben. 

Ich habe eine Passage gefunden, die dich als einer der weltbesten Lead-Out-Fahrer huldigt. Was haben wir darunter zu verstehen? 
Mit Lead-Out ist die Vorbereitung des Sprints gemeint. Meine wichtigste Phase begann beim sogenannten „Teufelslappen“.  Das ist ein roter, dreieckiger Wimpel der uns Fahrern signalisiert, dass die letzten 1.000 Meter vor dem Ziel anbrechen. 

Wenn dieser „Lappen“ in meinem Blickfeld auftauchte, habe ich angezogen, um die beiden verbliebenen Fahrer, an meinem Hinterrad klebend, soweit und so schnell wie möglich in Richtung Ziel zu bringen. 

Was ist mit den anderen aus dem Team? 
Als Team ist man darauf bedacht, möglichst mit allen acht Fahrern hintereinander in Richtung Ziel zu fahren. Jeder erfüllt auf dem Weg dorthin seine Aufgabe, d. h. Gas geben, Auspowern, um sich dann zurückfallen zu lassen. Sprich: seitlich rauszufahren. 

 Wann ist der jeweilige Top-Sprinter auf sich alleine gestellt? 
Ab circa 200 Meter vor dem Ziel. Dieser Lead-out ist zwingend notwendig, weil man sonst mit einem Pulk von 150 Fahrern, Ellbogen an Ellbogen, in Richtung Ziellinie sprinten würde. So viele Fahrer hätten da gar keinen Platz.

Das erfordert schon ein gutes Feeling und eine große Entschlussfreudigkeit, oder?
Das stimmt, ein „Sprinterzug“, so nennt man das, ist schon eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Da kannst du nicht nur den Kopf unten lassen und Gas geben. Das erfordert ein Auge für die richtige Situation, den richtigen Zeitpunkt, die richtige Strategie. 

Wie „Schachspielen in einer hohen Geschwindigkeit“?“ Auf zwei Rädern halt.
Der Vergleich ist mir neu, aber irgendwie könnte das passen. 

Es klingelt an der Tür. Phil Bauhaus gesellt sich zu uns. Analog zum Rennen, quasi am Hinterrad von Marcel Sieberg

Während Kirsten Phil einen Kaffee serviert, rastern die beiden Rad-Atlethen unser RADius-Board im Meeting-Raum. Dort sind alle Interview-Partner nach Alters- und Leistungsklassen kategorisiert. Marcel fällt auf, dass er in der Altersklasse 40 Plus unterwegs ist, während Phil noch eine „zwei“ vorne stehen hat. Kleine Frotzeleien setzen ein, bis Marcel das Buch von der Rheder City-Nacht erspäht … 

Weißt du eigentlich, wie oft du dort gestartet bist?
Nein. Sechs bis sieben Mal, würde ich schätzen. Ich weiß nur, dass ich einmal Dritter geworden bin. Das war schon ein schönes Event, oder?

Für einen Außenstehenden wie mich auf jeden Fall. Kann es sein, dass es so etwas Ähnliches mal wieder geben könnte?
Wäre schön, wenn wir so etwas in Bocholt hinbekommen könnten. Mit Boris Fastring habt ihr ja schon gesprochen, oder?

Ja.
Dann wisst ihr ja, dass es entsprechende Überlegungen gibt. Es macht auf jeden Fall Sinn für diese Fahrradstadt. Man könnte ja klein anfangen, da die Messlatte aus Rhede schon extrem hoch liegt. Schön wäre es, daran anzuknüpfen.

Wie seid ihr beiden eigentlich zusammengekommen?
Phil: Marcels Frau Andrea hat mich seinerzeit beim RC 77 trainiert. Ich weiß jetzt nicht, wann die beiden zusammengekommen sind. Irgendwann hieß es im Verein, dass der Freund von Andrea Profi sei und für das Team von Lamonta fährt. Das war voll krass für mich. Das müsste ca. 2005 gewesen sein. Da war ich elf. Einige Male haben wir zusammen trainiert. Irgendwann ist Marcel von Köln nach Bocholt gezogen, während ich von Bocholt nach Köln gegangen bin.

Ihr seid aber noch zusammen als Profis gefahren, oder?
Marcel: Das stimmt. Phil und ich haben denselben Manager.

Phil: Für mich stand irgendwann fest, dass ich zum Team „Bahrain“ wechsele. Marcel und ich sind ähnliche Fahrradtypen. Marcel als Anfahrer, ich als Sprinter. So stand irgendwann die Frage im Raum, ob es nicht gut sein könnte, wenn Marcel zu uns ins Team kommt. Daraus sind dann insgesamt drei Jahre geworden, die wir als Profis gemeinsam gefahren haben. Ich habe viel von Marcels Erfahrungen profitiert.

Marcel, du hast 2021 deine Karriere beendet. 2022 gab es dein Abschiedsrennen hier in Bocholt. War es eine gute Idee, das traditionelle Rennen „Rund um den Gaskessel“ in die Innenstadt zu verlegen?
Wer damals am besagten Sonntag nicht zu McDonald’s gefahren ist, hätte wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, dass ein Radrennen stattfand. So eine Veranstaltung lebt natürlich von den Zuschauern und der Atmosphäre.

Zu meinem eigentlichen Ausstieg im Jahre 2021 wäre ein solches Radrennen aufgrund der C-Zahlen nicht passend gewesen. Als Boris und ich Gedanken zu meinem Abschiedsrennen in 2022 ausgetauscht haben, wuchs die Lust, das so zu machen, wie es dann auch stattgefunden hat. Insbesondere in dem Jubiläumsjahr „800 Jahre Stadt Bocholt“.

Ich fand die Veranstaltung mega. Ich habe mich riesig gefreut, dass so viele alte Weggefährten von mir mitgefahren sind. Wenn man den Streckenverlauf des „Innenstadtrennens“ ein wenig anpasst, kann etwas richtig Schönes daraus werden. So ein Rennen gehört auf jeden Fall in unsere Stadt! Besser noch an einem Freitag- oder Samstagabend. Dann, wenn auch viel Menschen in der Stadt sind auch zum Feiern.

Richten wir für dich persönlich den Blick nach vorn. Wirst du dem Radsport verbunden bleiben?
Ich fühle mich gerade sehr wohl in meiner Funktion. 95% der Fahrer kenne ich aus meiner aktiven Zeit. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, irgendwann mal etwas anderes zu machen. Gerne aber in einem Bereich, wo ich dem Radsport verbunden bleibe.

Letzte Frage. Welche Frage wärest du gerne gefragt worden, die ich vergessen habe,  zu stellen?
Docken wir an deine Frage von vorhin an. Dem Charakter, den man braucht, um ein guter „Lead-out-Fahrer“ zu sein. Ich werde des Öfteren gefragt, ob ich es nicht vermisst habe, Rennen zu gewinnen, im Mittelpunkt und auf dem Treppchen zu stehen.

Deine Antwort?
Derartige Gefühle kamen in meinen 17 Jahren als Profi nicht auf. Wenn ich meinen Teil dazu beigetragen hatte, sprich:  mich 100% dafür eingesetzt habe, dass unser Top-Sprinter gewinnt, habe ich mich dafür auch immer selbst gefeiert. Ich war mir meines Anteils an diesem Sieg bewusst. Das ist vielleicht einen Tick anders, als wenn du oben auf dem Treppchen stehst, aber für mich genauso erfüllend. Es ist ja nicht so, dass ich weniger trainieren oder leiden musste. Wir trainieren alle das Gleiche, um den Sprinter ins Ziel zu bringen möglichst als Erster.

Dir gebührt der letzte Satz an die Leserinnen und Leser.
Setzt euch aufs Fahrrad und genießt die Natur.

Bei den Impressionen rund um Marcel Sieberg war uns klar, dass wir ein einmaliges Event verpasst haben. Bei diesen Bildern hier wird deutlich, welches Happening dort inszeniert wurde. Schön zu erfahren, dass dieses Spektakel für Jung & Alt fortgeführt wird. Wir werden dabei sein. VERSPROCHEN. Den ersten Termin haben wir schon umgelegt.